Frederic Batier
In Liebe Eure Hilde
Im neuen Film von Andreas Dresen spielt Liv Lisa Fries (33, „Babylon Berlin”) die Rolle der Hilde Coppi, die in der deutschen Widerstandsbewegung „Rote Kapelle“ gegen den Nationalsozialismus aktiv war und 1943 unter dem Fallbeil starb. Wir sprachen mit Liv Lisa Fries.
Frau Fries, kannten Sie die Geschichte von Hilde Coppi und der Roten Kapelle?
Nein, eigentlich gar nicht. Ich kannte ein paar ältere Leute, die darüber Bescheid wussten, die Nachbarn meiner Großeltern zum Beispiel. Aber ich selbst musste mich in das Thema einarbeiten. Natürlich kannte ich Sophie Scholl, die bekanntere Widerstandskämpferin, die ich in „Frauen, die Geschichte machten“ auch schon mal gespielt habe. Im Unterbewusstsein habe ich vielleicht eine Hilde-Coppi- oder Hans-Coppi-Straße in Berlin wahrgenommen. Ich kannte aber keine Details.
Hatten Sie die Möglichkeit, die Nachkommen Helle und Hans Coppi Junior zu treffen?
Ja, das war eines der ersten Dinge, die ich in der Vorbereitung gemacht habe. Es war für mich sehr berührend und in vielerlei Hinsicht auch wesentlich. Natürlich ist es ein bisschen abstrus, weil ich als Hilde-Darstellerin quasi meinen erwachsenen Sohn getroffen und mich wie in einem Science-Fiction-Film gefühlt habe. Es war eine berührende Begegnung. Hans Coppi Junior beschäftigt sich sehr intensiv mit der Geschichte seiner Eltern und führt ihr Erbe fort. Gleichzeitig gibt es natürlich diese persönliche Ebene. Es verlangt einen hohen Grad an Differenzierung und es ist auch eine Form der Verarbeitung, damit umzugehen und ihnen politisch Respekt zu zollen.
Glauben Sie, dass sich Hilde der Konsequenzen ihres Tuns immer bewusst war? Oder spielten auch die Liebe und eine gewisse Abenteuerlust mit?
Ich möchte nicht sagen, dass sie rein intuitiv war. Sie war auch sehr still und dachte viel nach. Sie handelte nicht unüberlegt, aber auch nicht berechnend. Ich glaube, dass sie ein großes Herz und diese Liebe zu Hans Coppi hatte, aber auch einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Hilde hat zum Beispiel Briefe an die Angehörigen deutscher Soldaten geschrieben, die sie über den illegal abgehörten sowjetischen Rundfunk erreicht haben. Sie hat im Moment gehandelt und besaß wirklich Rückgrat. Später hat sie einer Wärterin im Gefängnis ihren Sohn überlassen, die ihn an ihre Mutter weitergeben sollte, und somit sichergestellt, dass das Kind von ihr großgezogen wurde. Für mich persönlich ist diese Situation schwer zu begreifen. Und ich sage nicht, dass ich es genauso machen würde.
Inwiefern?
Es geht auch um eine Form von Loyalität und um einen Glauben an Gerechtigkeit. In einer Szene steht Hilde vor Gericht und die Richter fragen sie: „Warum haben sie das gemacht?“ – nach dem Motto: „Wenn sie wöllten, könnten sie sich noch rausreden.“ Sie sagt ganz ehrlich und ruhig: „Weil ich meinen Mann liebe.“ Das ist einfach ihre Antwort. Sie selbst sagt in einer Szene zu ihrem Mann: „Traust du mir keinen eigenen Willen zu?“ Hilde haut nicht auf den Tisch und sagt: „So, das ist meine Meinung und so sehe ich das!“ Sie ist eine stille Person, die dennoch ihre Werte vertritt.
Im Film sind nicht alle Staatsdiener schlechte Menschen. Ein Polizist schützt die Widerständler und die Aufseherin im Gefängnis macht eine Entwicklung durch. Waren Ihnen diese Facetten des Drehbuchs wichtig?
Ja. Komplexität finde ich immer wichtig. Das fängt bei meiner Figur an, aber ich schätze es, wenn auch die anderen Figuren Entwicklungen durchmachen und man ihre Motivationen, Ambivalenz und Ambiguität spürt. Dass es eben nicht wie in einer Komödie einfach nur die beste Freundin ist, die eine quirlige Eigenschaft hat und das war’s. Das ist nicht so, wie ich Menschen erlebe. Natürlich gibt es bestimmte Ausprägungen von Menschen, zum Beispiel ist jemand eher intro- oder extrovertiert. Und jede Ausgangssituation ist anders. Gerade in einer Zeit, die sehr ambivalent, fordernd und existenziell war, finde ich das total wichtig. Man muss die Ängste der Menschen spüren und jemanden nicht nur als die böse Wächterin abstempeln. Diese Aspekte werden ganz leise nebenbei erzählt.
Sie haben mit Sir Anthony Hopkins „Freud – Jenseits des Glaubens“ (dt. Kinostart: 19. Dezember) gedreht. Ein schwieriger Interviewpartner. Ist er auch als Kollege eine Herausforderung?
Nein, gar nicht. Als Kollegin war ich sehr dankbar für diese Erfahrung. Ich habe mich unheimlich wertgeschätzt gefühlt. Sir Anthony hat mich immer gefragt, ob ich mit Szenen einverstanden bin und was ich darüber denke. Und er hat mir seine Ideen mitgeteilt. Ich musste oft an den Beginn meiner Karriere zurückdenken, als ich mit Götz George gedreht habe. Das war ein ganz ähnliches Gefühl. Eine große Sicherheit durch jemanden, der diesen Beruf seit vielen Jahren ausübt und einen durch dieses Projekt navigiert. Bei der ersten Probe konnte ich gar nicht fassen, dass ich wirklich mit Anthony Hopkins spiele. Das habe ich nie erwartet. Aber es war toll!
Wenn Sie Hilde Coppi eine Frage stellen könnten, welche wäre das?
Das ist eine schwere Frage. Instinktiv kam mir eben die Frage in den Sinn, ob sie glücklich war. In der Situation, in der sie sich befand, ist das aber sehr kompliziert. Vielleicht hätte ich gar keine Frage. Ich glaube, ich würde sie gern in den Arm nehmen. Das ist meine Antwort. A. Wesche