
© Andreas Klaer
Marita Erxleben
Marita Erxleben hat in der Pandemie den Weg vom Tanzstudio zurück in ihren alten Beruf als Kinderkrankenschwester gefunden
Marita, wie hast du die vergangenen Wochen erlebt? War dir eher langweilig oder hattest du alle Hände voll zu tun?
Wir hatten nach dem ersten Lockdown eine gewisse Normalität entwickelt. Wir haben versucht, eine Verlässlichkeit für unsere Tänzerinnen und Tänzer herzustellen, indem wir einen Onlinestundenplan organisiert haben. Damit hatten wir in der ersten Zeit viel zu tun, weil wir in der Hinsicht keine Fachleute sind. Später haben wir uns dann von Nachricht zu Nachricht gehangelt.
Du hast also viel ins Digitale verlagert. Wie war das für dich?
Das war schlimm, denn aus den Erfahrungen des ersten Lockdowns haben wir von unseren Tänzern gehört: Bitte nicht wieder nur online. Wir haben versucht, Mut zu machen. Es hat Anfangsschwierigkeiten gegeben, aber dann war es gut, wenigstens Kontakt zu haben, zu erspüren, uns gegenseitig aufzufangen. Wir haben Weihnachtschoreografien geübt, die die Kinder zu Hause ihren Eltern zeigen konnten, haben Fasching gefeiert und versucht für sie da zu sein. Ballett ist eine Kunst und wenn sie nicht geübt wird, dann geht sie verloren.
Was war besonders schwer in dieser Zeit?
Wenn ich zur Ruhe komme, kommt eine Angst, in der ich mich frage, wie lange ich meinen selbst aufgebauten Traum noch erhalten kann, wie lange ich das noch aushalte zu kämpfen. Vom ersten zum zweiten Lockdown habe ich viele Schüler verloren. Ich selbst als Künstlerin habe zudem mit dem Begriff systemrelevant ein Problem. Es hat mir gezeigt, dass ich als Künstlerin nicht gebraucht werde. Bin ich dann überhaupt gewollt? Das macht ganz viel mit mir. Ich kann schwer kreativ sein in dieser Zeit.
Hast du schon Pläne für die Öffnung?
Wir haben angefangen, die ersten Kurse draußen zu unterrichten und stehen natürlich auf Stand-by. Ich lasse mich auch nicht unterkriegen. Ich plane unsere Theateraufführung Der geheime Garten, die wir im Juni machen. Für mich ist es ganz wichtig, vorwärts zu gehen. Es gibt ein Morgen.
Worauf freust du dich am meisten, wenn der Lockdown vorbei ist?
Ich freue mich darauf, wieder normal zu leben. Ich fühle mich eingesperrt, nicht selbstbestimmt. Ich habe den Eindruck, es fehlt das Vertrauen der Politik. Im Kleinen freue ich mich darauf, ins Café, ins Kino, ins Theater zu gehen, Freunde zu treffen – das, was für mich Leben ausmacht.
Du bist gelernte Kinderkrankenschwester und hilfst seit dem Winter im Klinikum Ernst von Bergmann aus. Wie war es, wieder in deinem alten Beruf zu arbeiten?
Über einen Twitteraufruf bin ich darauf aufmerksam geworden. Ich hab zwar bewusst vor einiger Zeit den Weg in die Kultur gewählt, aber mir war klar, wenn es ein gesellschaftliches Problem gibt, bei dem ich gebraucht werde, dann fühle ich mich noch meinem Eid verpflichtet. Ich wollte helfen.
Hast du durch die Arbeit im Krankenhaus ein anderes Bild von Covid-19 bekommen?
Ja. Vorher war mein Blick auf mich gerichtet und wie es mir geht. Was mir jetzt gut tut, ist, dass der Blick auf die Krankheit gerichtet ist und ich merke, wie klein mein Problem im großen Ganzen ist. Dieser Perspektivwechsel ist sehr heilsam.
Kann man damit rechnen, dich auch weiterhin im Klinikum anzutreffen?
Ich bleibe mindestens bis Ende Mai dort. Ich wurde darin bestätigt, weshalb ich Künstlerin geworden bin: Ich möchte Widersprüche erzeugen, Mauern einbrechen, meine Meinung sagen. Das System im Krankenhaus ist mir allein zwar zu starr, ich werde wieder als Künstlerin arbeiten, aber ich überlege noch eine Zeit lang im Krankenhaus zu bleiben, weil es mir hilft, meinen Blick als Künstlerin auf die wesentlichen Dinge zu richten. H. Harthun