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Now
Ein Gespräch mit Regisseur Jim Rakete über den Weg zum Kinofilm über Umweltschutz, seine Hoffnungen und Befürchtungen für die Zukunft und Greta Thunberg
Jimi Hendrix, Ray Charles und David Bowie standen vor seiner Linse und einheimische Musikgrößen wie Nina Hagen, Nena und Die Ärzte vertrauten ihm auch als Manager: Fotograf Jim Rakete ist heute selbst ein international gefeierter Star. In der Dokumentation Now, die am 28. Januar im Kino startet, begibt sich Rakete auf die Spuren junger Umweltaktivisten, die sich unter dem Dach von Organisationen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion oder Ende Gelände für den Schutz des Weltklimas engagieren. Wir sprachen mit dem 69-Jährigen über das Projekt.
Herr Rakete, wieso jetzt ein Kinofilm?
Die Autorin Claudia Rinke kontaktierte mich. Sie hat in ihrer Zeit als Anwältin in den USA gelegentlich für die UNO gearbeitet. Es war ihr ein Anliegen, einige junge Klimaaktivisten auf ihrem Weg in Richtung Klimagipfel zu porträtieren. Ich fand diese Idee gut. Wir sind dann auf die allerersten Demonstrationen von Fridays for Future und Ende Gelände gegangen. Claudia Rinke hatte vielleicht das Gefühl, mit mir den richtigen Partner zu haben, weil ich die Welt der 68er schon aktiv miterlebt habe. Tatsächlich habe ich deswegen damals die Schule geschmissen und bin Fotograf geworden. Bei dem Engagement der Jugend von heute konnte ich mir vorstellen, dass diese Sache sogar noch größer wird. Auf meinem Mist ist gewachsen, dass wir diese ganzen Überwältigungsbilder, mit denen Klimafilme oft vollgestopft sind – Eisbär auf Eisscholle, rauchende Schlote – zugunsten guter Argumente und Interviews vermieden.
Man sieht Greta Thunberg immer wieder an, wie sehr sie das Stehen in der Öffentlichkeit stresst und wie sie sich überwinden muss. Was für ein Bild haben Sie von dem Menschen Greta?
Mein Cutter und ich haben zu einem sehr frühen Zeitpunkt beschlossen, kein Interview mit ihr zu machen. Wir haben uns nicht darum bemüht, weil sie das, was sie sagt, immer zu dem Zeitpunkt sagt, an dem sie es auch sagen will. Die Art und Weise, wie sie auf der Bühne agiert, finde ich sehr viel besser als jedes Interview mit ihr. Obwohl die Interviews nicht schlecht sind. Aber sie ist immer dann am besten, wenn sie auf der Bühne steht und den Menschen reinen Wein einschenkt. Darüber hinaus ist sie authentisch. Eigentlich ein schreckliches Wort, das derzeit jeder im Munde führt. Aber in ihrem Fall ist die Angst vor dem, was kommen wird, ganz deutlich spürbar. Ich finde, sie hat prophetische Qualitäten. Ein Prophet muss das, worüber er redet, auch auf der gefühlsmäßigen Ebene vermitteln können. Sie kann das.
Waren Sie überrascht, dass für viele Umweltprobleme schon Lösungen existieren, die Prioritäten aber falsch gesetzt werden?
Eigentlich nicht. Ich weiß von sehr vielen Sachen, die es da gibt. Im Green Engineering gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen, die man ergreifen könnte. Aber wir hätten schon viel früher anfangen müssen, auf den Bereich zu achten, der am wenigsten beschrieben wird: die maschinelle Landwirtschaft. Die industrielle Landwirtschaft ist ein Riesenproblem und ein viel größeres Feld als zum Beispiel der Flugverkehr. Da wagt sich aber keiner so richtig ran, weil es kein sehr attraktives Thema ist. Genauso werden Sie beobachten, dass der blinde Fleck der gesamten Bewegung das Internet ist. Das Internet ist einer der größten Faktoren, mit seinen ganzen Servern, die direkt an Flüsse gebaut werden, die so erwärmt werden. Es ist immens, wenn man sich anschaut, was das Internet für eine Energieaufnahme hat. Die CO2-Emissionen sind deutlich größer als die des Flugverkehrs. Ich bezweifle aber, dass man mit solchen Vergleichen weiterkommt, genau so wenig, wie man mit Flightshaming oder dem Verdammen aller Autos weiterkommt. Das ist alles Quatsch. Man muss die Leute dazu kriegen, dass sie verantwortungsbewusster damit umgehen.
Corona hat gezeigt, dass Menschen nur begrenzt bereit sind, Einschränkungen hinzunehmen und Verzicht zu üben. Trauen Sie der Menschheit zu, sich im Dienst der Umwelt zusammenzureißen?
Die Corona-Krise selbst ist ein sehr gutes Beispiel dafür, was möglich ist, wenn man etwas in gemeinsamer Kraftanstrengung tut. Die weltweite Suche nach einem Impfstoff ist eine Anstrengung, wie es sie bisher noch nie gegeben hat. Ich glaube, auf diesem Pfad wird es weitergehen, auch wenn die Bevölkerung nachlässt. Wenn man diesen Weg erstmal beschritten hat und sagt, man kämpft gegen diesen Virus, dann geschehen plötzlich wundersame Dinge. In Deutschland sind wir mit der Abwehr ja relativ weit gekommen. Dass wir so schwächeln, liegt nur an unserer Party-Krankheit. Wir Deutsche haben da was in den Genen. Vielleicht liegt das in unserer Historie begründet. Wir konnten jahrzehntelang nicht feiern, vielleicht wollen wir jetzt nur noch feiern. Ich weiß nicht, was das ist.
Wo sehen Sie unsere Welt in dreißig Jahren?
Oh, mein Gott! Meine Hoffnungen oder meine Befürchtungen? Fangen wir mal mit der Hoffnung an. Es könnte ja so ausgehen, dass sich bei den Szenarien, mit denen wir im Moment umgehen müssen, jeder mal selbst an die Nase fasst und anfängt, sein Verhalten zu ändern. Das geht aber immer nur im Bereich des Möglichen. Wenn man in den Städten keine Nahrungsmittel findet, die nicht plastikverpackt und im Kühltransport um die ganze Welt gereist sind, steht man vor einem großen Problem. In Deutschland, das sagt Nike Mahlhaus von Ende Gelände im Film, kann man das Zwei-Tonnen-Emissionsziel als Individuum schon am Tag seiner Geburt nicht mehr erreichen, weil wir so viel Stein- und Braunkohle verbrauchen. Das ist erschreckend. Es muss eine konsequente Umstellung erfolgen, unsere Energiewende ist nur ein zarter Anfang. Es muss viel weiter und viel schneller gehen. Am anderen Ende des Szenarios müssen wir uns mal Corona anschauen und wie schwach die Menschen reagieren, wenn man ihnen die Wahrheit sagt. Noch immer ist nicht jeder bereit, eine Maske zu tragen. Ja, da ist etwas Unbelehrbares dabei. Es liegt auch etwas Unbelehrbares in der Unersättlichkeit und der Unbescheidenheit des Menschen. Aber in allen großen Krisen gibt es diesen einen Moment, den man gar nicht faken kann: Wenn es allen schlecht geht, ist der Zusammenhalt größer. Auf diesen Punkt laufen wir irgendwann zu. Ich weiß nur nicht, ob es dann nicht irgendwann zu spät ist. A. Wesche
Ein Leben lang hat Jim Rakete die größten Stars dieser Welt porträtiert, Bands gemanagt und Werbe- und Musikclips gedreht. In fortgeschrittenem Alter gibt der Fotograf sein Kinodebüt mit einer beeindruckenden Doku über internationale Jugendbewegungen für den Klimaschutz von Fridays for Future bis Plant for the Planet. Inspirierend und optimistisch.
Dokumentation, D 2020, FSK 6, Kinostart: 28. Januar 2021